• WortSpiel – Wort und Musik am Puls der Zeit
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Gesprächskonzert mit Kolja Lessing, Violine und Klavier
Gesprächspartner: Tzvi Avni (Tel Aviv)

Programm

»Unerhörte Schätze: Musik aus dem Exil«

Werke von
Tzvi Avni (geb. 1927)
Berthold Goldschmidt (1903–1996)
Ursula Mamlok (geb. 1923)
Paul Ben-Haim (1897–1984) sowie
Karol Rathaus (1895–1954)

»Zwischen 1918 und 1933 wurde ein Kapitel europäischer Musikgeschichte geschrieben, das danach ausgelöscht und vergessen worden ist.«
(Zitat aus dem Film »Ferne Klänge«)

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg haben Musik verstummen lassen, die zuvor längst ihren Platz in den Programmen der Konzertsäle gefunden hatte. Sie war geschrieben worden von Komponisten, die in Deutschland geboren, erzogen und ausgebildet worden sind, die aber dann aufgrund ihrer »Rasse« oder ihrer politischen Überzeugung das Land verlassen und dann bisweilen lange Odysseen durchleben mussten. Kein Wunder, dass manch zuvor gefeierter Musiker wie etwa Berthold Goldschmidt nach der Flucht lange kaum noch komponierte. Durch die Emigration entstanden in Biographien Brüche, die einerseits die Menschen veränderten, andererseits ihre musikalischen Spuren vernebelten.

Doch nicht immer bedeutete die Emigration das Ende aller Klänge, manchmal konnte die Fremde gar fruchtbar sein, aus der Entwurzelung Neues entstehen. Ursula Mamlok beispielsweise hat ihren eigenen Stil auch durch den Einfluss von Kompositionsunterricht in der Fremde ausgefeilt, und Komponisten wie Paul Ben-Haim und Tzvi Avni haben die Entwicklung der Neuen Musik in Israel vorangetrieben. Aus der Vielzahl der Einflüsse entstand so ein beachtlicher Stilpluralismus, der sich – angefangen mit der postromantischen Klangsprache Karol Rathaus‘ – auch in diesem Konzert widerspiegelt.

»Vielfalt und Bandbreite dieser verschollenen Musik sind überwältigend.«
(Zitat aus dem Film »Ferne Klänge«)

Das Vergessen begann im Dritten Reich, aber es wirkte über das Ende dieser dunklen Zeit hinaus. Noch heute ist manch einst bekannter Name nur Fachleuten bekannt, lassen sich unerwartete musikalische Edelsteine bergen. Einer, der sich solcher Musik annimmt, ist der Geiger, Pianist und Musikwissenschaftler Kolja Lessing. 2008 erhielt Lessing den »Deutschen Kritikerpreis«. In der Begründung dazu ist über Lessing zu lesen: »Sein besonderes Engagement gilt der verfemten Musik, darunter dem umfangreichen, fast ausnahmslos von ihm erforschten Schülerkreis Franz Schrekers. An der Rehabilitation des über neunzigjährigen Berthold Goldschmidt hatte er hohen Anteil, ermutigte ihn nach 35-jähriger Schaffenspause im britischen Exil zu einem bemerkenswerten Alterswerk. Auch Ignace Strasfogel, Felix Peryrek, Karol Rathaus, Zdenka von Ticharich, um nur einige zu nennen, widmete er sich in wirkungsvoller Verbindung von künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit. Mit Fingerspitzengefühl näherte er sich Künstlern, die zeitweilig in politisches Zwielicht geraten waren, wie Grete von Zieritz oder Philipp Jarnach, deren hohe kompositorische Begabung er in beispielhaften CD-Einspielungen würdigte. Neueste Aufnahmen präsentieren den I942 im Ghetto von Kaunas, Litauen, von den Nazis erschossenen Edwin Geist sowie Paul Ben Haim, Haim Alexander und Abel Ehrlich, Komponisten der 'ersten Stunde' im jungen Staat Israel. Aus dem persönlichen Kontakt zu vielen dieser Komponisten erwuchsen für Lessing geschriebene Werke, die unsere musikalische Erfahrung bereichern.«

Kolja Lessing

Kolja Lessing, einer der vielseitigsten Musiker unserer Zeit, hat als Geiger und Pianist durch seine Verbindung von interpretatorischer und wissenschaftlicher Arbeit dem Musikleben prägende Impulse verliehen.

Durch seinen Einsatz wurden z. B. Georg Philipp Telemanns Violinfantasien und Johann Paul Westhoffs Violinsuiten ebenso für den Konzertsaal wiederentdeckt wie auch viele bedeutende Klavierwerke des 20. Jahrhunderts, u. a. von Berthold Goldschmidt, Philipp Jarnach, Ignace Strasfogel und Wladimir Vogel.

International ausgezeichnete CD-Produktionen dokumentieren diese stilistisch differenzierte Auseinandersetzung mit Repertoire vom Barock bis zur Moderne, das Standardwerke wie Raritäten gleichermaßen umfasst.

In Anerkennung seines Engagements für verfemte Komponisten erhielt er 1999 den Johann-Wenzel-StamitzSonderpreis, 2008 wurde er mit dem Deutschen Kritikerpreis für Musik ausgezeichnet.

Zahlreiche Uraufführungen von Violinwerken, die Komponisten wie Haim Alexander, Tzvi Avni, Abel Ehrlich, Jacqueline Fontyn, Berthold Goldschmidt, Ursula Mamlok und Dimitri Terzakis eigens für Kolja Lessing schrieben, spiegeln sein internationales Renommee ebenso wie regelmäßige Einladungen zu Meisterkursen in Europa und Nordamerika. Nach Professuren für Violine und Kammermusik an den Musikhochschulen Würzburg und Leipzig wirkt er seit dem Jahre 2000 in gleicher Funktion an der Musikhochschule Stuttgart.

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